Am Dienstag den 01.04,2025 trat ich eine der prägendsten, beeindruckendsten und überraschesten Reisen meines bisher noch jungen Lebens an. Manche würden behaupten, dass das auch nicht schwer sei, denn Reisen und Urlaube sind eine eher seltene Ausnahme in meinem Leben und beschränken sich meist auf Deutschland. Dennoch wird mich das, was ich im tiefen Süden Ungarns erleben durfte, noch lange begleiten.
Frühs um 6 Uhr startete unsere Reise in einem bis unters Dach beladenen Transporter. Er wurde von meinen Begleitern und Reiseleitern am vorherigen Tag tetrisartig beladen und hatte gerade genügend Platz für Gerhard Püchner, Bernd Vogel und mich.
Von vornherein wurde mir klar gemacht, wie diese Reise verlaufen würde. „Sie“ als Anrede verboten. „Du“ erwünscht. Was mir als einer jungen Frau mit zwei fast völlig fremden, deutlich älteren Männern zunächst völlig fremd und unpassend vorkam, setzte jedoch gleich den Tonus der bevorstehenden Reise. Denn in Boly (unserem Ziel) wurde Herzlichkeit und Offenheit gelebt. Ein deutsches, formales „Sie“ passt da eher weniger.
In den folgenden ca. 9 Stunden der Anreise war mehr als genug Zeit, um sich gegenseitig näher kennen zu lernen und vor allem mir auch die grobe Geschichte der Partnerschaft zwischen Boly und Heroldsberg zu erläutern. Denn hierum ging es ja im Grunde dieser Reise. Eine Partnerschaft zweier Gemeinden zu stärken und den Austausch zu fördern.
Nach ca. 9 Stunden, vielen Kilometern und ein paar Pausen später kamen wir am Nachmittag schon an unserem Ziel an. Und was mich nun erwartete, darauf war ich nicht vorbereitet. Ich wurde herzlich und mit offenen Armen von Sandra empfangen, womit ich nicht rechnete. Immerhin war ich eine völlig Fremde für sie. Sie kümmert sich um die Pension, welche ich die nächsten 7 Tage mein Zuhause nennen durfte. Die Pension liegt direkt bei dem Weinkeller von Sandras Vater Andrasch, welcher kurz nach unserer Ankunft ebenfalls zum Begrüßen vorbeischaute. Bei einem Glas Wein und Bogadschen (ein ungarisches Salzgebäck) konnten wir erstmal Ankommen und uns von der Reise erholen. Andrasch erklärte mir nun auch die Geschichte der Region, warum so viele Ungarn hier Deutsch sprechen und wie der Wein in die Gegend kam. An diesem Abend wurde in Andrasch´s Weinkeller der Abend verbracht. Mit ungarischem Wein, Brot, Wurst und Schnaps verbrachten wir einen geselligen Abend zusammen mit österreichischen Verwandten von Andrasch, welche für einen 70. Geburtstag ebenfalls 4 Tage in Boly verbrachten.
Am nächsten Morgen wurde nach einem gemeinsamen Frühstück meinem Chef für die nächsten drei Tage Peter Breitenstein einen Besuch abgestattet. Die Konditorei Breitenstein ist ein kleiner familiengeführter Betrieb, mit allem, was das ungarische-Torten-Herz so begehrt. Von Eis, zu Torten, bis hin zu zuckerfreien Kuchen gibt es hier alles. Die Details meines bevorstehenden Praktikums wurden hier bei einem Cappuccino besprochen.
Nach dem Kennenlernen bekam ich eine kleine private Stadtrundfahrt von Gerhard Püchner und Bernd Vogel, wo sie mir alle wichtigen Stellen in Boly zeigten. Die Stadtrundfahrt endete mit einem Besuch bei Ildiko. Sie plant auf ungarischer Seite den jährlichen Musikaustausch mit Heroldsberg. Hier wurden dann noch ein paar Details des diesjährigen Besuchs der Ungarn in Heroldsberg besprochen.
Am Nachmittag luden wir alle mitgebrachten Hilfsgüter, die größtenteils aus Windeln aller Art bestanden, an der Kirche mit vielen Helferinnen aus. Die Dankbarkeit der Frauen war sofort spürbar und allen packten mit an, sodass der Transporter schnell leer war.
Am Abend wurde in großer Runde der oben genannte 70. Geburtstag gefeiert. Bei ausgelassener Stimmung vergingen so die Stunden. Da ich jedoch am nächsten Morgen meinen ersten Arbeitstag haben sollte, verabschiedete ich mich etwas früher von der Feier, um am nächsten Morgen gut ausgeruht zu sein.
Und das war ich dann auch am dritten Morgen unserer Reise. Nach einer 5-minütigen Fahrradfahrt kam ich bei meiner Arbeitsstelle der Cukraszda Breitenstein an und lernte nun hier die Räumlichkeiten, Kollegen und Arbeitsabläufe kennen. Und schnell merkte ich, dass die Arbeit zwar sehr der von mir in Deutschland gelernten ähnelt, die Arbeitsweise und -moral jedoch nicht unterschiedlicher sein könnten. In Deutschland werden alle Schritte und Arbeitsabläufe bis zu Schluss durchgeplant, alles hat seinen Platz, es ist geordnet und es wird immer versucht möglichst effektiv und wirtschaftlich zu arbeiten. Das alles war hier anders. Im Lager hatte nicht jeder Rohstoff mithilfe eines Ettiketiergerätes einen eigenen Platz. Es gab keinen festen Ort für das Werkzeug, die Wartezeiten wurden nicht mit anderen Aufgaben gefüllt und die Raucherpausen diktierten den Arbeitsablauf. Und trotzdem schienen sie ihre Arbeit täglich in der Zeit zu meistern und das Geschäft scheint sich zu lohnen.
berrascht war ich auch von der Menge an gluten-, laktose-, und zuckerfreien Produkten. Mein Chef Peter erklärte mir hierzu, dass die Nachfrage hier groß sei und ohne eine große Lücke in ihrem Sortiment entstehen würde. Schnell fand ich jedoch trotz der erstmals ungewohnten Umstände in den Arbeitsalltag und die Arbeitsstrukturen ein und bekam viel neuen Input und konnte einige neue Techniken kennenlernen. So verbrachte ich nun die nächsten zweieinhalb Tage.
Nachdem im nur bis zum frühen Nachmittag arbeitete, hatte ich natürlich die Abende immer frei und konnte so weiter die ungarische „Keller-Kultur“ kennenlernen. An diesem dritten Tag erlebte ich den für mich am beeindruckendsten Abend. Nach einem kurzen Abendessen bei Andrasch, machten Gerhard Püchner, Bernd Vogel und ich mich auf den Weg zu einem Treffen der „Kellerfreunde“, einer Gruppe älterer Herren, die die Keller-Kultur Ungarns nicht in Vergessenheit geraten lassen wollen. Und was mich hier erwarten sollte, konnte ich in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen. In einer winzigen Stube, die mit Holz beheizt wurde und direkt an einem Keller war, fanden sich ca. 15 Mann ein. Die Ausstattung der Stube erinnerte mich an alte ländliche deutsche Gastwirtschafte. Es war warm, urig und heimelig. Sofort fühlte man sich geborgen. Zusammen wurde musiziert, gesungen, getrunken und gelacht. Es war der Inbegriff von Geselligkeit und Freundschaft. Und auch hier wurde ich mit offenen Armen empfangen. Man war eine große Gemeinschaft und die Vorstellung, dass in unserer heutigen Zeit sich fast jeder dritte einmal die Woche einsam fühlt, schien undenkbar. Denn es war so einfach sich mit anderen zusammen zu tun, zu lachen und zu reden, und das obwohl man sich erst seit ein paar Minuten kannte. Wie kann es da in unserer modernen, hoch vernetzten Welt nur so schwer fallen Kontakt zu knüpfen?
Und auch am Freitag verbrachten wir den Abend nach der Arbeit in geselliger Runde wieder in einem anderen Keller. Dieses Mal in kleinerer Runde und auch modernerem Keller, jedoch mit selbstgemachter Wurst, die unfassbar gut war.
Nach meinem letzten Arbeitstag wurde mir am Samstagnachmittag eine besondere Ehre zuteil. Ich durfte von Klari die Kunst der Kipfle, Bogadschen und Salzstangen lernen. Sie zeigte mir jeden Schritt geduldig, gab mir alle Rezepte und jede Menge Tipps. Abends gab es alle frischen Gebäcke zu Wein gereicht. Und als Highlights des Abends gab es noch eine typisch ungarische Fischsuppe mit Karpfen und Nudeln, welche mit viel Paprika gewürzt wurde und leicht scharf war.
Am Sonntag wollten wir alle zusammen in Villány essen gehen. In einem Restaurant, scheinbar mitten im Nirgendwo, gab es alles, was das deutsch/ungarische Herz begehrte. Von deutschem Bier bis zu ungarischem Gulasch war die Auswahl groß und alles schmeckte gut. Um das gute Wetter nachmittags vollends auszunutzen, setzten wir uns alle zusammen vor einem Weinkeller in Villány. In der Straße lag ein Weinkeller neben dem anderen. Und so genossen wir einen langsamen und ruhigen Nachmittag in der Sonne mit dem ein oder anderen Glas Wein.
Am letzten Tag unserer Reise teilte sich unsere kleine Truppe. Während ein Teil nach Harkany zum Schwimmen fuhr, fuhren Gerhard Püchner und ich zunächst zum Heimatmuseum in Boly. Hier lernte ich viel über das Leben der früheren Bolyer, welche ursprünglich aus Schwaben kamen. Danach machten wir einen Ausflug nach Pécs. Die fünfgrößte Stadt Ungarns hat große Wiener und Budapester Einflüsse und war aufgrund der Universität deutlich jünger und diverser als das ländliche Boly. Nach dem Ausflug in Pécs fuhren wir über Harkany und Villány nach Boly zurück, sodass ich die Natur Ungarns noch etwas bewundern konnte. Und auch diesen letzten Abend verbrachten wir alle gesellig bei Speis und Trank, bevor wir am Dienstag den 08.04. uns wieder auf den langen Weg zurück nach Deutschland machten.
Was bleibt nun noch zum Schluss zu sagen? Zunächst einmal, dass diese Reise nicht die typische Touri-Reise war. Ich durfte viel Neues kennenlernen und Dinge erleben, die ich so schnell nicht vergessen werde. Ich möchte Ungarn in diesem Bericht nicht glorifizieren. Über Politik spricht man hier nicht und die Frage kommt einem natürlich immer wieder in den Sinn, wie die Menschen, die man hier kennenlernen durfte, zu Orban, dem Ukrainekrieg oder der EU stehen. Auch die Rolle und Stellung der Frauen in der Gesellschaft ist ein Thema, das auf jeden Fall kritisch betrachtet werden muss. Gerade ich als junge Frau habe mich hier des Öfteren gefragt, ob ich so auch behandelt werden würde, wenn ich als junge Ungarin diese Abende mitverbringen würde und nicht als deutsche Besucherin. Auch hier ist eben nicht alles Gold was glänzt.
Doch fernab von Politik und Feminismus habe ich hier ein paar der offensten und herzlichsten Menschen meines Lebens kennengelernt. Leute, bei denen man sich nach kürzester Zeit wie zuhause fühlte, die einen in die Gemeinschaft mit aufnahmen, die nach kurzer Zeit meine Lieblingsmarmelade kannten und mir diese auch noch schenkten. Wo man sich nie einsam oder alleine fühlen musste und immer in guter Gesellschaft war. Ich durfte ein völlig anderes Lebenskonzept als das Deutsche kennenlernen. Gewiss ein Einfacheres und Ruhigeres als das Deutsche, aber nicht ein bisschen unglücklicher. Ein Konzept, in dem die Arbeit nicht im Zentrum steht und den höchsten Stellenwert hat, sondern die Gemeinschaft und der Genuss. Wo man sich abends trifft bei selbstgemachtem Wein und Wurst und das Leben und die Gemeinschaft feiert.
Ich danke allen, die mich in der Woche mit offenen Armen empfangen haben und einen Einblick in ihr Leben gegeben haben. Und vor allem danke ich Gerhard Püchner, Bernd Vogel und dem Partnerschaftsverein Heroldsberg, die diese Reise erst ermöglicht haben. Danke für alles!